Nach meinem Interview mit Jana Hauschild von der Psychologie Heute zum Thema der Psychoindustrie und des Psychotainments wurden damals Eckart von Hirschhausen, Stefanie Stahl und Leon Windscheid angefragt, ob sie sich im selben Heft zu meinen Bemerkungen äußern wollen. Das ist gute wissenschaftliche Praxis und ich war damit voll und ganz einverstanden. Von Hirschhausen und Stahl haben das zunächst abgelehnt, um es sich dann, z. T. kurz vor Redaktionsschluss doch noch anders zu überlegen.
Alle drei haben sich dann geäußert, konnten meine Argumente aber nicht widerlegen.
Steve Ayan hat sich in einer Art Rezension im »Spektrum der Wissenschaft« reichlich despektierlich zu dem Thema und meiner Arbeit geäußert. Und was passiert jetzt, ein paar Monate später?
Steve Ayan bringt einen großen Leitartikel zu eben dem Thema des Psychotainments, listet allerlei Punkte als Kritik auf, die in meinem Buch stehen, das doch eben noch so weggeschoben werden sollte.
Und Léon Windscheid gibt Interviews, in denen er ebenfalls - einigermaßen überraschend - die Punkte wiederholt, die ich in dem Buch herausgearbeitet habe. Das alles natürlich ohne sich auf die primäre Autorin zu beziehen.
Plötzlich kritisiert Winscheid in einem Interview mit dem Stern: Es gebe »so viele Lifecoaches auf Bühnen, die Unsinn reden. Im Publikum sitzen häufig Menschen, denen es schlecht geht. Die vielleicht seit Monaten auf einen Therapieplatz warten. In ihrer Verzweiflung gehen sie zu einem dieser Gurus. Und die sagen dann: Ich habe die Lösung für dein Problem, hier geht es zu meinem 3000 Euro teuren Zehn-Tage-Programm für mehr Selbstliebe. Da wird mit dem Leid von Leuten gespielt«. (Stern vom 07. März 2025)
Sieh an! Wo habe ich das nur schon mal gelesen…
Und auf die Frage: Warum ist das gefährlich?, antwortet Windscheid:
»Wenn Menschen mit psychischen Störungen nicht frühzeitig von Fachleuten geholfen wird, können sich ihre Probleme chronifizieren. Die falsche Hilfe von Coaches kann großen Schaden anrichten. Sie lindert dann kein Leid, sie vergrößert es«(ebd.).
Eine meiner Kernaussagen des Buches.
Und etwas später: »Es gibt zu viele Hobbypsychologen da draußen, die anfangen, mit Diagnosen um sich zu werfen, nachdem sie drei Videos auf Tiktok dazu gesehen haben« (ebd.).
Und noch etwas später:
»Lange wurden psychische Störungen abgetan. Das hat sich zum Glück geändert. Aber wenn nun alles zur Krankheit verklärt wird, wenn wir etwa die Trauerreaktion nach dem Verlust einer geliebten Person als Depression bezeichnen, besteht die Gefahr, dass wir immer mehr von dem pathologisieren, was eigentlich zum Leben dazugehört. Damit machen wir etwas kaputt. Wir sorgen dafür, dass die tatsächlich Betroffenen weniger ernst genommen werden. Diagnosen sollte man Fachleuten überlassen« (ebd.).
Durchaus erfreulich, dass Windscheid Äußerungen von mir jetzt wiederholt. Ein bisschen merkwürdig ist so zu tun, als käme das von ihm.
Besonders bemerkenswert finde ich folgende Wendung:
Auf die Frage: Was tun Sie dagegen, selbst für einen Ratgeber gehalten zu werden?, kommt als Antwort:
»Ich argumentiere mit der Forschung, ich ordne ein, erkläre und hinterfrage die Methoden der Studien«(ebd.).
Nun hatte ich aber gerade im Rahmen meiner Arbeit herausgefunden, wie Windscheid selber mit Studien umgeht: Nämlich sehr ungenau, gerade nicht darauf achtend oder hinweisend, dass eine Studie kaum repräsentativ ist, weil die untersuchte Gruppe viel zu klein ist, oder Ergebnisse verfälscht und dann reißerisch wiedergibt.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man hier auch ein bisschen den Bock zum Gärtner macht.
Auch im Interview mit Steve Ayan versucht Windscheid denselben Trick. Dort sagt er: »Ich würde mir wünschen, dass es in der Wissenschaftskommunikation mehr kritischen Diskurs gäbe. Ich glaube, das würde uns nicht nur herausfordern, in der Vermittlung präziser zu sein. Man kann daran auch gut den Unterschied zwischen seriöser und oberflächlicher Information festmachen. Erstere behandelt eben auch Unsicherheiten, etwa dass eine Stichprobe in einer Studie viel zu klein war oder dass man mehr gut gemachte Untersuchungen braucht« (Gehirn&Geist 04/2025).
Aber genau das, nämlich Ergebnisse aus Studien mit zu kleinen Stichproben als »krasse« Erkenntnis darzustellen, ist das, was ich bei Windscheid gefunden und kritisiert habe.
Vermutlich hatte man schlicht nicht damit gerechnet, dass sich doch mal jemand die Mühe macht und die - immerhin zitierten - englischen Studien selber einmal anschaut.
Der Trick ist folgender: Man »kassiert« einfach die Kritik und tut so, als habe man die immer auch schon gehabt, um zu verschleiern, dass das eigene Vorgehen dem entsprach, was man nun kritisiert.
Dagegen tun kann ich natürlich gar nichts, aber ich kann mindestens deutlich machen, dass ich es merke.
Der kritischen Diskussion, die Windscheid sich angeblich wünscht ist er, wie Stefanie Stahl sowieso, bisher aus dem Weg gegangen.
Warum eigentlich?
Quellen:
https://www.stern.de/kultur/leon-windscheid---es-gibt-zu-viele-hobbypsychologen--35466474.html
https://www.spektrum.de/news/leon-windscheid-ich-bin-da-so-hineingestolpert/2248711