Das »Gesundheitsstrukturgesetz« sorgt für Zulassungsbeschränkungen
Am 21.12.1992 wurde das sog. »Gesundheitsstrukturgesetz«, genauer: »Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung« verabschiedet. Dieses sah u. a. auch eine Änderung bei der Zulassung der Kassenärzte vor. Die entsprechenden Regelungen finden sich wiederum im Sozialgesetzbuch (SGB V, Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung, §103 SGB, Zulassungsbeschränkungen).
Für Interessierte hier der Link: https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/103.html
Das Sozialgesetzbuch wird uns gleich noch weiter beschäftigen.
In dem genannten Paragraphen 103 findet sich folgender Satz:
»Die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen stellen fest, ob eine Überversorgung vorliegt;« und etwas später: »Wenn dies der Fall ist, hat der Landesausschuß nach den Vorschriften der Zulassungsverordnungen und unter Berücksichtigung der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses Zulassungsbeschränkungen anzuordnen«.
Somit ist das, was wir heute spüren, die lange Wartezeit auf Psychotherapieplätze, aber auch das ewige Warten auf andere Facharzttermine oder wichtige Untersuchungen (z. B. ein MRT) offenbar das Resultat einer Überversorgung! Hätten Sie das gedacht?
Früher durfte sich eine Ärztin, ein Arzt zum Beispiel einfach an ihrem Wohnort niederlassen, wenn sie/er eine Facharztausbildung hatte. Ganz früher reichte dafür sogar noch die Berufsbezeichnung »Praktischer Arzt«, die es nicht mehr gibt, da alle Ärztinnen und Ärzte, die sich niederlassen wollen, eine Facharztausbildung von in der Regel zusätzlich fünf Jahren absolvieren müssen.
Diese Niederlassungsfreiheit ist im kassenärztlichen System gewissermaßen gestoppt worden. Wenn ein Gebiet »überversorgt« ist, darf sich keine Fachärztin/kein Facharzt dort niederlassen.
Die Idee dahinter? Gute Frage!
Eventuell die Vorstellung, wenn es viele Ärztinnen und Ärzte gibt, dann gehen die Patientinnen und Patienten da hin, auch wenn sie keine Beschwerden haben. Jedenfalls sollten vermutlich Kosten gespart werden. In der Folge hatte man als kassenärztlich Niedergelassene entsprechend viel zu tun, da die Patientinnen und Patienten ja nur noch ein begrenzte Auswahl hatten. (Und ganz nebenbei: Man musste sich auch nicht mehr besonders um Patientinnen und Patienten bemühen, denn die kamen sowieso, manchmal sogar mehr, als man schaffen konnte). Sie kennen alle das Bild: Volle Wartezimmer und Ärztinnen und Ärzte, die zum Teil verzweifelt versuchen, ihren Patientinnen und Patienten gerecht zu werden, die nun in großer Zahl in ihren Wartezimmern sitzen. Denn außerdem sollen sie ja alles digitalisieren, sich mit der unzuverlässigen IT in ihren Praxen, zu der sie verpflichtet worden sind, herumärgern, Briefe lesen, Notfälle behandeln usw.
Es gilt aber doch das Grundgesetz! - Die Berufsfreiheit
Aber es gab noch ein »Problem«, nämlich Artikel 12 des Grundgesetzes, der die Berufsfreiheit festschreibt:
»(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden«.
So! Und nun? Wenn Sie nun also sechs Jahre studiert und eine mindestens fünfjährige Weiterbildung zum Facharzt absolviert haben, dann möchten Sie (nachvollziehbar) in diesem Beruf auch arbeiten. Aber wenn Sie nun Fachärztin sind und in Ihrer Nähe oder überhaupt für Ihr Fachgebiet eine »Überversorung« besteht, dann könnten Sie faktisch Ihren Beruf nicht ausüben. Das geht auch nicht. Was nun?
Es bleibt einem als Arzt oder Ärztin ein Ausweg: Man darf sch mit einer Privatpraxis niederlassen.
»Ach so!« höre ich oft Patientinnen und Patienten sagen. Nur für »die Privaten«, nicht für »Kassenpatienten«. Und unausgesprochen meint man zu hören: »Ach so, nur für die Reichen!«
Und überhaupt: »Kassenpatienten« sind eigentlich ohnehin alle. Es handelt sich bei den privaten und den gesetzlichen um Krankenkassen. Also, das oft abfällig genannte »Kassengestell« oder der Begriff »Kasse« wird nur seltsam deplatziert verwendet.
Privatärzte - nur für Privatversicherte?
Nein! Genau das stimmt nicht, ist aber - wer weiß, warum? - kaum bekannt. Denn eben das schon genannte Sozialgesetzbuch sieht da etwas ganz anderes vor, die sog. Kostenerstattung!
In dem uns nun schon bekannten fünften Buch (V) des SGB lesen wir unter §13 Kostenerstattung Abs. 3 folgende wichtige Sätze:
»(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.«
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__13.html
Und natürlich ahnt man, dass der Teufel wie immer in der Auslegung der Gesetze steckt. Wann ist eine Leistung unaufschiebbar? Und was heißt »nicht rechtzeitig«?
Ich werde darauf in einem nächsten Blogbeitrag zur Kostenerstattung noch genauer eingehen.
Man wüsste vielleicht auch gerne, was bitte die Voraussetzungen nach § 95c sind. Hier lässt sich schnell Abhilfe schaffen. In dem genannten Paragraphen werden die Voraussetzungen für die Eintragung von Psychotherapeuten in das Arztregister geregelt. Dort wiederum werden nur approbierte Psychotherapeutinnen und -therapeuten eingetragen. Die Approbation ist wiederum ein wichtiges Kennzeichen eines professionellen Psychotherapeuten, im Gegensatz zu den zahlreichen »Anbietern« im Bereich der Psycho-Industrie.
Für jetzt nehmen wir aber mit:
Die langen und zu langen Wartezeiten auf Psychotherapieplätze sind künstlich erzeugt, und zwar durch das 1992 verabschiedete »Gesundheitsstrukturgesetz«, was dazu führte, dass Ärztinnen und Ärzte sich nicht mehr auf eigenen Wunsch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung niederlassen konnten.
Es gibt viele ausgebildete Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die keinen Kassensitz erhalten!
Da es aber eine Berufsfreiheit gibt, können sich z. B. Ärztinnen und Ärzte immer noch privatärztlich niederlassen.
Auch gesetzlich Krankenversicherte dürfen zu Privatärzten gehen und haben Anspruch darauf, dass ihre Kasse die entstehenden Kosten begleicht, wenn die Krankenkasse, bei der man versichert ist, eine unaufschiebbare Leistung nicht erbringen kann, d.h. wenn sie Ihnen keinen Therapieplatz bei einer, einem ihrer »Kassenärztinnen und -ärzte« vermitteln kann.
Auch wenn meine Patientinnen und Patienten mir oft berichten, ihre Krankenkasse habe ihnen mitgeteilt, »das gebe es nicht mehr« oder »sie dürften das nicht bewilligen« - das Kostenerstattungsverfahren gibt es!
In meinem nächsten Beitrag werde ich erklären, wie es funktioniert.