Psychoanalyse, »das Maß aller Dinge«? - Bestimmt nicht.
Zunächst ist Wildermuth der Meinung, ich würde die Psychoanalyse »zum Maß aller Dinge« erklären.
Das ist schon eine seltsame Sicht. Es geht doch gerade darum, dass die Psychoanalyse - wie ich im Buch deutlich schreibe, auch durch ihr eigenes Verschulden - in der Öffentlichkeit und vor allem an den Universitäten kaum noch vertreten ist! In dem Buch schreibe ich natürlich auch als Analytikerin, denn ich bin als solche tätig, aber auch als Ärztin. Und an keiner Stelle des Buches erkläre ich die Psychoanalyse zum Maß aller Dinge. Kann ich auch gar nicht, weil das nicht meine Haltung ist.
Um seine These zu untermauern gibt Wildermuth mich dann falsch wieder.
Er schreibt, mich vermeintlich indirekt wiedergebend: »Die Psychoanalyse würde über die therapeutische Beziehung in einem langfristigen Prozess `die Autonomie des Menschen entwickeln und fördern´«.
Aber was steht wirklich in meinem Buch?
»Anders als in einer Psychotherapie, in der es am Ende darum geht, die Individuation und die Autonomie des Menschen zu entwickeln und zu fördern, verfolgt die Psychoindustrie genau das Gegenteil: {…}« (Pflichthofer 2024, S. 170).
Diesem Satz ist unschwer zu entnehmen, dass erstens dort Psychotherapie steht und nicht - wie von Wildermuth behauptet - Psychoanalyse, und dass es zweitens gerade um die Abgrenzung zu den oft zweifelhaften Interventionen der Psycho-Industrie geht.
Keine Anamnese in der Verhaltenstherapie? - Steht nicht in meinem Buch.
Wildermuth schreibt, mich angeblich wiedergebend: »Die ebenfalls anerkannte kognitive Verhaltenstherapie dagegen würde die gründliche Anamnese durch Fragebögen ersetzen, die die individuelle Therapie durch vorgefertigte Module ersetzte.«
Dieser Satz, beziehungsweise diese Unterstellung ist fast schon rufschädigend. Denn was steht tatsächlich in meinem Buch? Es ist richtig, dass ich mangelnde Anamneseerhebung kritisiere, allerdings für den gesamten psychotherapeutischen Bereich und natürlich erst recht für die Psycho-Industrie.
So schreibe ich tatsächlich:»Diese Haltung hat leider auch schon in die Psychotherapie Einzug gehalten. Dieses – wie ich finde – krampfhafte »Nach-vorne-Gucken« führt oft dazu, dass keine Anamnesen mehr erhoben werden« (Pflichthofer 2024, S. 225).
Ich habe in meinem Buch keine Stelle gefunden, die aussagt, die kognitive Verhaltenstherapie würde die Anamnese durch Fragebögen ersetzen. Ich schreibe zwar von Fragebögen, insbesondere weil meine Patienten mir das oft erzählen, den Bezug zur Verhaltenstherapie stellt erstaunlicherweise aber Wildermuth selbst her.
»Auf Kriegsfuß mit den Naturwissenschaften?« - Seltsam.
Diese Art der »Wiedergabe« geht dann so weiter, wenn er schreibt:
»Überhaupt würde die Naturwissenschaft versuchen sich „Individuen, Gesellschaften, das Menschliche und damit auch dessen Seele“ mit ihren Erklärungsmustern unterzuordnen«.
Was steht wirklich im Buch?
»Sind Sie schon jemandem begegnet, der versucht hat, alles sich und seinen Auffassungen unterzuordnen? So müssen wir uns die Situation vorstellen, die entsteht, wenn eine wissenschaftliche Richtung, die Naturwissenschaften, versucht, sich mit ihren Erklärungsmustern Individuen, Gesellschaften, das Menschliche und damit auch die Seele unterzuordnen« (Pflichthofer 2024, S. 231).
»Eine Situation, die entsteht, wenn…« Das ist mitnichten derart verallgemeinernd, wie Wildermuth das gerne hätte. Und wenn man das Buch liest, dann liest man auch, dass sich dieser Passus auf die Evolutionäre Psychologie bezieht.
Daraus abzuleiten, ich stünde mit den Naturwissenschaften »auf Kriegsfuß«, das ist schon speziell. Wildermuth ist Biochemiker, ich verstehe, dass ihm die Naturwissenschaft am Herzen liegt. Ich bin Ärztin, also mir durchaus auch. Aber darf es deswegen keine Diskussion mehr darüber geben, ob dies der einzige Zugang zur Welt ist?
Warum?
Die Frage stellt sich.
Warum diese zum Teil falschen Wiedergaben?
Ist es Absicht? - Das wäre nicht schön. Aber auch dann stellt sich die Frage.
»Aus Versehen«? Auch nicht schön. Die Frage nach dem »Warum«, bleibt!