Nun plötzlich macht Ayan es in der »Gehirn und Geist«, ebenfalls zur Spektrum-Gruppe gehörig, zum »Titelthema«, das ihn »von den Höhen der akademischen Wissenschaft hinab in die Niederungen der Bühnen und Influencer-Kanäle« geführt habe. Das klingt ganz so (und soll es wohl auch), als sei ihm dieses Thema nun mal so ganz selber eingefallen. Ist es aber nicht.
Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich gerne als erster Beobachter dieses Phänomens darstellen möchte.
So heißt es in der Ankündigung des Heftes: »Wir berichten, wie dieses »Psychotainment« funktioniert! Das nenne ich doch mal geschickt. Denn tatsächlich ist genau das u.a. Thema im Buch Die Psychoindustrie. Immerhin hat man das Buch dann doch als »weiterführende Literatur« aufnehmen müssen; es wäre sonst vielleicht auch Steve Ayan zu peinlich gewesen.
Zugleich wird auch deutlich, dass der Kampf um die Interpretation der Psychoindustrie in vollem Gange ist. Ayan ist Psychologe und kein Psychotherapeut und vielleicht deshalb findet er das auch alles gar nicht so schlimm.
Meine kritische Auseinandersetzung mit Stefanie Stahls (unhaltbaren) Behauptungen jedenfalls findet er »beckmesserisch«; man könne doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. »Denn natürlich«, so Ayan »gehe es hier nicht in erster Linie um wissenschaftliche Exaktheit«! Sieh an! Für meinen Geschmack zeigt sich hier, was passiert, wenn man Bücher nicht so genau liest. Denn tatsächlich behauptet Stefanie Stahl genau das! Jedes Detail ihres Buches Wer wir sind sei wissenschaftlich fundiert. Und genau das habe ich kritisiert, dass man unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit unhaltbare Behauptungen raushaut. Bernhard Strauß, der eine C4-Professur an der Universität Jena inne hat und ein echter Bindungsexperte ist (weil er dazu geforscht hat), hat sich in meinem Buch dazu geäußert und darauf hingewiesen, dass Stefanie Stahl veraltete Konzepte vertreibt. Auch das fällt Ayan leicht, vom Tisch zu wischen, »beckmesserisch« eben.
Ayan schreibt in dem Duktus, die Therapeuten sollten sich doch nicht so haben.
Doch, ich finde, unsere Profession sollte sich da haben und deutlich machen, dass wir eine mehrjährige Ausbildung absolviert haben (und uns nicht nur »skills« angeeignet haben, wie Leon Windscheid in dem anschließenden Interview glauben machen will). All das trägt zur Abwertung der psychotherapeutischen Profession bei. Aber die Ausbildung und die Erfahrung ist das, was unsere Patientinnen und Patienten brauchen und was wir ihnen schuldig sind.
Für Ayan ist Stefanie Stahl die »grande dame der Psychobranche«. Ihn stört es offenbar so gar nicht, dass sie in großem Stil abgeschrieben hat. Alles nicht so wichtig, was sollen wir uns über das Plagiieren aufregen. Darauf kommt es nicht an. Warum sollte man nicht einfach übernehmen (und verkaufen) dürfen, worin andere viel Arbeit investiert haben. Erstaunlich. Genauso erstaunlich wie der Artikel, der über das »Psychotainment« unter anderem zusammenfasst, was in dem Buch Die Psychoindustrie auf 92 Seiten ausgearbeitet ist.
Da mutet dann der Satz: »Wir berichten, wie dieses »Psychotainment« funktioniert« schon ein kleines bisschen seltsam an.